“Wir könnten Logistikimmobilien künftig zuerst als Kraftwerke denken!“

BUILDINX • 11. August 2023

Interview mit Alexander Nehm, Professor für Betriebswirtschaftslehre / Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim

Logistikimmobilien und Nachhaltigkeit – wie gehen diese beiden Themen heute zusammen und welche Chancen birgt die Zukunft in dieser Hinsicht für Logistiker:innen? Dazu sprachen wir mit Alexander Nehm, Professor für Betriebswirtschaftslehre / Spedition, Transport und Logistik an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim. Dabei kann er auf jahrelange Erfahrung mit dem Thema Logistikimmobilien zurückblicken, u.a. als jeweiliger Geschäftsführer der Logivest Concept GmbH und der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Supply Chain Services SCS in Nürnberg.


Herr Prof. Nehm, welches Potenzial steckt Ihrer Meinung nach im Logistiksektor, wenn es um das Thema erneuerbare Energien geht? 


Das Potenzial ist enorm. Folgende Daumenrechnung soll dies veranschaulichen: Jedes Jahr kommen etwa fünf Millionen Quadratmeter neue Logistikimmobilienfläche auf den Markt – gehen wir also vereinfacht gedacht in den letzten 20 Jahren ruhig von rund 100 Millionen Quadratmeter aus. Nehmen wir außerdem an, dass die Bauweise dieser Immobilien vergleichsweise standardisiert und modern ist. Wenn sich lediglich ein Drittel dieser Hallendächer für Solaranlagen eignet, sind das immer noch gut 30 Millionen Quadratmeter, also rund 4.200 Fußballfelder. Auf so einer Fläche könnte man schon eine Menge Energie produzieren. 


Und inwieweit wird dieses Potenzial heute bereits genutzt?


Die schlechte Nachricht ist: Bisher kaum. Das liegt aber vor allem daran, dass es bei Logistikimmobilien lange Zeit leider kaum Gründe gab, die entsprechende Maßnahmen auch wirtschaftlich sinnvoll erscheinen ließen. Strom war bis zum letzten Jahr vergleichsweise günstig, Mieten für Logistikanlagen wurden vor allem als Netto-Kaltmieten gerechnet. Nebenkosten spielten lange Zeit eine untergeordnete Rolle. Genau das hat sich in den letzten zwei Jahren durch die Pandemie und vor allem durch den Krieg in der Ukraine enorm verändert. Die Abhängigkeit von Monopolen bei Energielieferanten hat sich als problematisch erwiesen. Folglich entsteht seit dem letzten Jahr so gut wie keine neue Logistikimmobilie mehr, die PV und Solar oder andere energetische Maßnahmen außer Acht lassen – wenigstens als Option, die sich nach der Inbetriebnahme zeitnah umsetzen lässt – und das ist die gute Nachricht. Ohne diese beschleunigenden Effekte wäre das Thema Nachhaltigkeit und Energieeffizienz auch zunehmend wichtig geworden, aber sicher nicht in dieser Geschwindigkeit. Der jetzt entstandene Druck, auch durch zunehmende ESG-Auflagen, energieeffizient, ökologisch aber auch aufgrund des Fachkräftemangels sozialverträglich zu bauen, sorgt für eine Vielzahl an Innovationen. Die Branche ist aktuell dynamisch wie nie.


Aus den von Ihnen beschriebenen Gründen wird das Thema Energieautarkie nun immer wichtiger für die Logistikwelt. Sie gelten als Urheber der Idee bei Logistikimmobilien – wie könnte das am Beispiel eines Logistiklagers aussehen?

 

Vor dem Hintergrund steigender Energiepreise und um ganz generell resilienter gegenüber extremen Ereignissen zu werden, wird dieser Aspekt nun auch bei Logistiker:innen immer interessanter. Wie viel des eigenen Energiebedarfs lässt sich tatsächlich über erneuerbare Energien abdecken – ob das nun über ein Windkraftwerk, das Solardach oder ein Geothermiekraftwerk auf dem eigenen Gelände ist? Die Antwort variiert je nachdem, was am Standort benötigt wird bzw. möglich ist. Es gibt immer mehr Beispiele, die zeigen, dass zumindest ein großer Teil des Energiebedarfs auf diese Weise abgedeckt werden kann. Um zunächst mal ein kleineres Projekt zu nennen, das nicht jeder kennt: heo, eine Vertriebsgesellschaft für Lizenzprodukte, Sammelartikel und Spiele in Herxheim. Ganz ohne Projektentwickler hat die Geschäftsführung entschieden – übrigens vor der Ukraine-Krise –, dass die Gebäude des sogenannten „heo Campus“ komplett mit „grünem Strom“ betrieben werden sollten – und den Neubau entsprechend umgesetzt. Auf dem Dach des Logistiklagers befindet sich eine ein Megawatt-Peak-Photovoltaikanlage, die deutlich mehr Strom erzeugt als das Unternehmen benötigt. Es gibt noch weitere Aspekte, die diese Anlagen spannend machen, aber ich will außerdem noch ein weiteres Projekt erwähnen: Das C3 in Bremen, das in der Presse auch weite Kreise gezogen hat – unter anderem deshalb, weil Umweltminister Habeck es einweihte. Jetzt überlegen Sie mal, wann zuletzt ein hochrangiger Politiker bei der Einweihung einer Logistikimmobilie anwesend war? Die wenigsten wollen damit in Zusammenhang gebracht werden, weil das Thema bei den Bürgerinnen und Bürgern überwiegend negative Assoziationen weckt. Doch das C3 hat gezeigt, dass ein solches Projekt, wenn man es denn anders denkt, plötzlich Aufmerksamkeit und Relevanz erzeugt.


Was unterscheidet denn die Herangehensweise bei diesem Projekt von anderen?

 

Das C3 wurde vor allem unter Nachhaltigkeitsaspekten gesehen und genauso kommuniziert. Hier wurde nicht in den Vordergrund gestellt, wie groß die Lagerfläche dieser riesigen Anlage ist, sondern wie groß die Solaranlage auf dem Hallendach ist. Mit anderen Worten: Hier hat sich ein Wandel vollzogen, wie Logistikimmobilien wahrgenommen werden können. Und aus meiner Sicht ist das aus mehreren Gründen genau der richtige Weg: Wir könnten Logistikimmobilien künftig zuerst als Kraftwerke denken! Eine Vision wäre, dass bei neuen Projektvorhaben gerade bei den Kommunen der Beitrag von Logistikimmobilien zur Energiethematik im Vordergrund steht. Neue Projekte könnten demnach kleine Kraftwerke sein, mit dem Vorteil, dass sie im Erdgeschoss eine zusätzliche Nutzung, z.B. Logistik, ermöglichen und so für zusätzliche Arbeitsplätze sorgen. Dann wird die Logistik vom Problemerzeuger – in puncto Energie und Flächenversiegelung – zum Problemlöser. Und zwar nicht nur, weil das für mehr gesellschaftliche Akzeptanz sorgt, sondern weil das schlichtweg der sinnvollste Weg ist, wie wir in den nächsten Jahren und Jahrzehnten planen und denken sollten, um generationenübergreifend etwas wirklich Nachhaltiges zu errichten. Die Aufgabe ist gigantisch. Laut Bundesminister Habeck ist eine Verdreifachung des jährlichen Zubaus der Solarleistung notwendig – und zwar allein bis zum Jahr 2026 (Stand Juli 2023)! Logistikimmobilien diesbezüglich nicht zu ertüchtigen, wäre tatsächlich fahrlässig!


Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen auf dem Weg zu diesem Ziel?


Die bürokratischen Hürden, wenn man als Unternehmen beispielsweise Energie zurück ins Netz einspeisen will, sind hoch. Aber da kann man meiner Meinung nach derzeit schon Signale aus der Bundespolitik erkennen, die zeigen, dass es einen klaren Willen zur Anpassung an diese Notwendigkeit gibt. Ein Bürokratieabbau in dieser Hinsicht ist zumindest geplant. Aber das wird natürlich nicht von heute auf morgen passieren. Darüber hinaus ergeben sich durch die Themen Netzinfrastruktur und Speichertechnologien noch Schwierigkeiten: Wenn ich Strom über Solaranlagen am Tag produziere, aber vor allem in der Nacht abrufen muss, brauche ich dafür große Stromspeicher. Technisch ist das auf jeden Fall machbar und die steigende Nachfrage wird nicht nur hier die Innovationen ankurbeln und auch Auswirkungen auf die Preise haben. Ich bin optimistisch, dass sich hier in den nächsten Jahren eine Menge bewegen wird. Allein vor diesem Hintergrund kommt die Idee der BUILDINX-Messe sicher genau zum richtigen Zeitpunkt!

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